Bundesverfassungsgericht weist Anträge der AfD zu Flüchtlingspolitik zurück

Der zweite Senat des Bundesverfassungsgericht hat drei Anträge der AfD-Bundestagsfraktion zur Flüchtlingspolitik in einem Organstreitverfahren als unzulässig verworfen. Die Anträge richteten sich gegen die Nichtzurückweisung von Schutzsuchenden an der deutschen Grenze im Jahr 2015 durch die Bundesregierung. Das Bundesverfassungsgericht entschied nicht in der Sache, sondern wies die Anträge zurück, weil die AfD-Fraktion nicht hinreichend dargelegt hat, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Die Anträge zielten nach Auffassung des Gerichts auf die Wahrung objektiven Rechts und die Verpflichtung zu einer Handlung – der Zurückweisung von Asylbewerbern an den Grenzen. Dies sei in einem Organstreitverfahren nicht zulässig.
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Bundesverfassungsgericht: Grundsteuer verfassungswidrig

Die Erhebungsgrundlage der Grundsteuer ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht entschieden. Die Regelungen des Bewertungsgesetzes zur Einheitsbewertung von Grundvermögen verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Das Gericht rügt, dass der Wert der Grundstücke zuletzt im Jahr 1964 festgestellt wurde. Dies führe zu gravierenden und umfassenden Ungleichbehandlungen bei der Bewertung von Grundvermögen, für die es keine ausreichende Rechtfertigung gebe. Der Gesetzgeber muss bis zum 31.12.2019 eine Neuregelung schaffen. Dabei darf er eine Übergangszeit festlegen, die längstens bis zum 31.12.2014 dauern darf.
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Aufregung im Bundesverfassungsgericht: Grüner soll CDU-nahen Richter ersetzen

Weil ein Grüner dem von der CDU vorgeschlagenen Richter des Bundesverfassungsgericht, Michael Eichberger, nachfolgen soll, gibt es große Aufregung im Bundesverfassungsgericht. Durch die Berufung des von den Grünen vorgeschlagenen Richters am Bundesgerichtshof, Claudio Nedden-Boeger, käme dass politisch sorgsam austarierte Gleichgewicht im ersten Senat des Bundesverfassungsgericht aus dem Lot. Zwei von der CDU vorgeschlagene Richter stünden dann drei SPD-nahe und zwei von den Grünen vorgeschlagene Richter gegenüber. Das achte Mitglied des Senats wurde von der FDP vorgeschlagen und ist jedenfalls nicht dem konservativen Lager des Gerichts zuzuordnen. In der Vergangenheit wurden die beiden Senate des Bundesverfassungsgerichts stets durch jeweils vier eher konservative und vier eher fortschrittliche Richter besetzt, wobei Union und SPD jeweils ein Vorschlagsrecht an die FDP und die Grünen abtraten. Die Einigungsbereitschaft zwischen SPD und Union wurde dadurch befördert, dass für die Besetzung der Richterstellen eine zweidrittel Mehrheit erforderlich ist. Keines der beiden politischen Lager war in der Lage, ohne Zustimmung des anderen einen Kandidaten durchzusetzen. Da die Grünen mittlerweile an neun Landesregierungen beteiligt sind und sie dadurch jeden Vorschlag des Bundesrates blockieren können, haben sie bereits 2016 ein eigenes Vorschlagsrecht für sich reklamiert. Vor zwei Jahren kamen sie jedoch nicht zum Zuge und sie wurden auf 2018 vertröstet. Auf diese Zusage pochend will insbesondere der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann einen Vorschlag der Grünen für die Nachfolge Eichbergers durchsetzen. Wegen der Bedenken aus dem Bundesverfassungsgericht wurde die Entscheidung noch einmal vertagt und nicht auf der letzten Sitzung der Ministerpräsidentenkonferenz entschieden.

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Bundesverfassungsgericht: Medizin-Studienplatzvergabe teilweise willkürlich

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass einzelne bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften über das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen an staatlichen Hochschulen für das Fach Humanmedizin teilweise willkürlich und damit mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Die beanstandeten Vorschriften verletzen den grundrechtlichen Anspruch der Studienplatzbewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot. Diesen Anspruch leitet das Gericht aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG (Berufsfreiheit) in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 GG (Allgemeiner Gleichheitssatz) ab. Die landesgesetzlichen Bestimmungen zum Auswahlverfahren der Hochschulen verstoßen  zudem teilweise gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Das Bundesverfassungsgericht fordert die Gesetzgeber auf, eine Neuregelung bis zum 31. Dezember 2019 zu treffen.

Dabei hat das Gericht ausdrücklich keine Bedenken, dass für einen Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze nach der Abiturdurchschnittsnote vergeben wird. An der Sachgerechtigkeit der Abiturnote als Eignungskriterium hat das Gericht keine verfassungsrechtlichen Zweifel. Es beanstandet jedoch, dass dieses Kriterium durch den Rang des Ortswunsches überlagert wird. Dies sei kein geeignetes Kriterium und deshalb verfassungswidrig. Das Gericht fordert außerdem für die Vergabe der Studienplätze nach eigenen Eignungsprüfungsverfahren der Hochschulen, dass diese in standardisierter und strukturierter Weise erfolgt. Insbesondere dürfe in den Verfahren allein die Eignung der Bewerber überprüft werden. Diesen Anforderungen werden sowohl einige Regelungen des Hochschulrahmengesetzes als auch der Landesgesetze nicht gerecht.

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Bundesverfassungsgericht fordert drittes Geschlecht im Personenstandsrecht

Das Bundesverfassungsgericht fordert den Gesetzgeber auf, das Personenstandsrecht neu zu regeln und ein drittes Geschlecht zuzulassen. Die bestehende Regelung ist nach Auffassung des Gerichts „mit den grundgesetzlichen Anforderungen insoweit nicht vereinbar, als § 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz (PStG) neben dem Eintrag „weiblich“ oder „männlich“ keine dritte Möglichkeit bietet, ein Geschlecht positiv eintragen zu lassen.“ Das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG) schütze auch die geschlechtliche Identität derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen. Darüber hinaus verstoße das geltende Personenstandsrecht auch gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 3 Abs. 3 GG), soweit die Eintragung eines anderen Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ ausgeschlossen werde. Der Gesetzgeber hat jetzt bis zum 31. Dezember 2018 Zeit, eine Neuregelung zu schaffen.

Anwältin missbraucht Bundesverfassungsgericht – 600,- € Strafe

Weil sie in einer Verfassungsbeschwerde falsche Angaben über entscheidungserhebliche Umstände gemacht hat, muss eine Rechtsanwältin eine Missbrauchsgebühr in Höhe von 600,- € zahlen. Das Bundesverfassungsgericht müsse es nicht hinnehmen, so die Richter, dass es an der Erfüllung seiner Aufgaben durch erkennbar substanzlose Verfassungsbeschwerden gehindert werde. „Deshalb kann eine Missbrauchsgebühr etwa dann verhängt werden, wenn die Verfassungsbeschwerde den Versuch unternimmt, dem Bundesverfassungsgericht die Kenntnis von für die Entscheidung offensichtlich bedeutsamen Tatsachen vorzuenthalten, oder wenn gegenüber dem Bundesverfassungsgericht falsche Angaben über entscheidungserhebliche Umstände gemacht werden.“, so das Gericht in einer Pressemitteilung.

Hier der Beschluss: http://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Entscheidungen/DE/2017/09/rk20170927_2bvr169117.html

 

Spanien versus Katalonien: Auch in Deutschland darf ein Bundesland nicht über den Austritt abstimmen

In der Auseinandersetzung um das Unabhängigkeitsstreben der Region Katalonien beruft sich die spanische Regierung auf eine Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichts, wonach das Referendum gegen die spanische Verfassung verstößt. Die dortige Rechtslage stimmt mit der Rechtslage in Deutschland überein. Auch hier hat das Bundesverfassungsgericht unter Berufung auf den auf der verfassungsgebenden Gewalt des deutschen Volkes beruhenden Nationalstaat entschieden, dass die Länder nicht „Herren des Grundgesetzes“ seien. Für Sezessionsbestrebungen einzelner Länder sei unter dem Grundgesetz daher kein Raum. Diese verstoßen, so das Gericht bereits im Jahr 1993, gegen die verfassungsmäßige Ordnung. Die Kläger wollten in Bayern eine Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der Bundesrepublik abhalten.

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Bundesverfassungsgericht: 3%-Klausel bei Europawahl verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer knappen Mehrheit von fünf zu drei Richterstimmen entschieden, dass die erst kürzlich eingeführte 3%-Klausel bei der Europawahl mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit unvereinbar und damit grundgesetzwidrig ist. Zu Recht. Dieser sehr formal anzuwendende Grundsatz besagt, dass alle bei einer Wahl abgegebenen Stimmen den gleichen Wert haben müssen. Die streitbefangene Klausel bewirkt jedoch, dass jene Stimmen, die für Parteien abgegeben wurden, die diese Hürde nicht überspringen, keinen Wert haben. Damit besteht zwischen diesen Stimmen und jenen Stimmen, die auf die Parteien entfallen sind, in das Parlament einziehen, keine Gleichheit.

Allerdings kann die Begründung des Gerichts nicht überzeugen. Denn eine Wahlrechtsungleicheit haben wir auch bei den Bundes- und Landtagswahlen. Hier gilt sogar eine 5%-Klausel. Diese wird damit gerechtfertigt, dass unsere nationalen Parlamente die Aufgabe haben, eine Regierung zu bilden. Viele kleine Parteien würden diese Aufgabe erschweren. Das Europaparlament habe diese Aufgabe (noch) nicht. Außerdem bestehe das Europaparlament bereits aus Vertretern von über 160 Parteien, so das Bundesverfassungsgericht. Fünf weitere kleine Parteien aus Deutschland würden den Charakter des Parlaments deshalb nicht verändern.

Richtiger dürfte die Einsicht sein, dass auch die 5%-Klausel bei den Bundes- und Landtagswahlen gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt. Die Wahlrechtsgrundsätze sichern den demokratischen Charakter der Wahlen. Dies gilt insbesondere für die Wahlrechtsgleichheit. Nur eine Wahl, bei der alle Stimmen das gleiche Gewicht haben, ist eine demokratische Wahl. Hier kommt hinzu, dass diese Klauseln die Gründung neuer Parteien zumindest behindern. Begünstigt werden die bereits etablierten und großen Parteien – jene Parteien also, die diese Klauseln eingeführt haben und jetzt verteidigen.

BVerfG berät über Verfassungsmäßigkeit der 3%-Klausel bei Europawahl

Das Bundesverfassungsgericht berät derzeit über die Verfassungsmäßigkeit der Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht. Der Bundestag hatte im Oktober 2013 diese Sperrklauseln für die Europawahl eingeführt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im November 2011 die bis dahin geltende Fünf-Prozent-Klausel für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben hatte. Das Gericht hatte die Sperrklausel aufgehoben, weil sie gegen die vom Grundgesetz garantierte Wahlrechtsgleichheit verstößt. Danach muss der Wert der abgegebenen Stimmen gleich sein. Bei einer Sperrklausel fallen jedoch jene Stimmen unter dem Tisch, die für jene Parteien abgegeben wurden, die die Sperrklausel nicht überspringen.  Dies sei nur dann verfassungsgemäß, wenn die Funktionsfähigkeit des zu wählenden Vertretungsorgans beeinträchtigt ist. Für das Europaparlament hatte das Gericht eine solche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit bereits deshalb verneint, weil auch mit der Sperrklausel in Deutschland 160 Parteien dem Europaparlament angehören. Außerdem gehöre es nicht zu den Aufgaben dieses Parlamentes – hierin unterscheide es sich vom Deutschen Bundestag -, eine stabile Regierung zu bilden. Schließlich betonte das Gericht die Gefahr, dass der deutsche Wahlgesetzgeber mit einer Mehrheit von Abgeordneten die Wahl eigener Parteien auf europäischer Ebene durch eine Sperrklausel und den hierdurch bewirkten Ausschluss kleinerer Parteien absichern könnte. Auf der Grundlage dieser Maßstäbe dürfte auch die Drei-Prozent-Klausel verfassungswidrig sein. In der mündlichen Verhandlung wollte das Gericht aber nicht nur über diese Wahlrechtsgrundsätze verhandeln. Thema war auch die Bindungswirkung des verfassungsgerichtlichen Urteils zur Aufhebung der Sperrklausel vom November 2011, das daraus folgende Normwiederholungsverbot und das Gebot der Organtreue. Auf deutsch: Das Bundesverfassungsgericht wollte wissen, warum der Bundestag ein Urteil des Gerichts nicht einhält.