Katholische Bekenntnisschule weist Moslem ab

Eine katholische Bekenntnisschule weist einen kleinen muslimischen Jungen ab, weil dieser den falschen Glauben hat. Das Verwaltungsgericht Minden bestätigt die Entscheidung der Schule. Zu Unrecht.

Bekenntnisschulen, es gibt sie nur noch in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, sind vom Staat finanzierte Schulen, in denen „Kinder des katholischen oder des evangelischen Glaubens oder einer anderen Religionsgemeinschaft nach den Grundsätzen des betreffenden Bekenntnisses unterrichtet und erzogen“ werden. So steht es im Art. 12 Abs. 3 Satz 2 der nordrhein-westfälischen Verfassung. Ausweislich des nordrhein-westfälischen Schulgesetzes müssen die Lehrer an Bekenntnisschulen dem betreffenden Bekenntnis angehören. Außerdem wird Religionsunterricht in der Regel nur im Schulbekenntnis erteilt und Erziehungsberechtigte von Nicht-Bekenntniskindern müssen als Voraussetzung für die Aufnahme eine Einverständniserklärung über die Unterrichtung und Erziehung im Schulbekenntnis unterzeichnen. Eine solche Einverständniserklärung wollten die muslimischen Eltern nicht abgeben. Ihr Sohn wurde daraufhin von der Schule nicht aufgenommen.

Bemerkenswert ist an diesem Fall, dass die betreffende Schule nur noch von etwa 40% katholischen Schülern besucht wird. Zum Kollegium gehören auch evangelische Lehrer und bis vor kurzem wurde dort auch evangelischer Religionsunterricht erteilt. Es war in der Vergangenheit auch problemlos möglich, dass bekenntnisfremde Eltern ihre Kinder – auf einem Formblatt der Schule – vom katholischen Religionsunterricht abmelden konnten. Juristisch dürfte die Schule damit ihren Charakter als Bekenntnisschule verloren haben. Es fehlt – und zwar sehr deutlich – an der für eine Bekenntnisschule erforderlichen Homogenität im katholischen Glauben. Allein diese rechtfertigt ja das Erfordernis einer entsprechenden Einverständniserklärung der Eltern.

In Niedersachsen verlieren Schulen ihren Charakter als Bekenntnisschulen, wenn mehr als 30% bekenntnisfremde Kinder beschult werden. In Nordrhein-Westfalen fehlt es an einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Darauf beruft sich das Verwaltungsgericht Minden. Mit ein wenig Mut hätte das Gericht diese Regelung entsprechend anwenden können. Oder auch unabhängig davon entscheiden können, was jedem unmittelbar einleuchtet: Eine katholische Bekenntnisschule, in der die katholischen Schüler nur noch eine Minderheit sind, kann keine katholische Bekenntnisschule mehr sein.

VG Minden, Urteil vom 28.02.2014 – 8 K 1719/13

taz vom 28.02.2014

Neue Westfälische vom 01.03.2014

wdr vom 28.02.2014

Bundesverfassungsgericht: 3%-Klausel bei Europawahl verfassungswidrig

Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer knappen Mehrheit von fünf zu drei Richterstimmen entschieden, dass die erst kürzlich eingeführte 3%-Klausel bei der Europawahl mit dem Grundsatz der Wahlrechtsgleichheit unvereinbar und damit grundgesetzwidrig ist. Zu Recht. Dieser sehr formal anzuwendende Grundsatz besagt, dass alle bei einer Wahl abgegebenen Stimmen den gleichen Wert haben müssen. Die streitbefangene Klausel bewirkt jedoch, dass jene Stimmen, die für Parteien abgegeben wurden, die diese Hürde nicht überspringen, keinen Wert haben. Damit besteht zwischen diesen Stimmen und jenen Stimmen, die auf die Parteien entfallen sind, in das Parlament einziehen, keine Gleichheit.

Allerdings kann die Begründung des Gerichts nicht überzeugen. Denn eine Wahlrechtsungleicheit haben wir auch bei den Bundes- und Landtagswahlen. Hier gilt sogar eine 5%-Klausel. Diese wird damit gerechtfertigt, dass unsere nationalen Parlamente die Aufgabe haben, eine Regierung zu bilden. Viele kleine Parteien würden diese Aufgabe erschweren. Das Europaparlament habe diese Aufgabe (noch) nicht. Außerdem bestehe das Europaparlament bereits aus Vertretern von über 160 Parteien, so das Bundesverfassungsgericht. Fünf weitere kleine Parteien aus Deutschland würden den Charakter des Parlaments deshalb nicht verändern.

Richtiger dürfte die Einsicht sein, dass auch die 5%-Klausel bei den Bundes- und Landtagswahlen gegen den Grundsatz der Gleichheit der Wahl verstößt. Die Wahlrechtsgrundsätze sichern den demokratischen Charakter der Wahlen. Dies gilt insbesondere für die Wahlrechtsgleichheit. Nur eine Wahl, bei der alle Stimmen das gleiche Gewicht haben, ist eine demokratische Wahl. Hier kommt hinzu, dass diese Klauseln die Gründung neuer Parteien zumindest behindern. Begünstigt werden die bereits etablierten und großen Parteien – jene Parteien also, die diese Klauseln eingeführt haben und jetzt verteidigen.

Fall Edathy: Rechtsstaat außer Kraft

Die rechtsstaatlichen Grundsätze sind im Fall des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Edathy gleich mehrfach außer Kraft gesetzt worden. Da ermittelt zunächst die Polizei und anschließend die Staatsanwalt gegen Edathy, weil dieser – nach den deutschen Gesetzen legal – in Kanada Bilder von nackten Jungen erworben hat. Von den Ermittlungen wird der damalige Innenminister Friedrich in Kenntnis gesetzt, der diese Information rechtswidrig an den SPD-Vorsitzenden Gabriel weitergibt. Dieser informiert den damaligen Fraktionsvorsitzenden Steinmeier und den Fraktionsgeschäftsführer Oppermann. Oppermann ruft  beim BKA-Präsidenten an und erhält von diesem – rechtswidrig – die Bestätigung der Informationen von Friedrich. Die Staatsanwaltschaft führt rechtswidrig eine Hausdurchsuchung bei Edathy durch, obwohl die Ermittlungen ergeben hatten, dass dieser weder kinderpornographische Bilder erworben hatte noch solche besitzt. Zur Rechtfertigung der Maßnahme beruft die Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz ein und erläutert – rechtswidrig – Details aus den Ermittlungsakten. Details übrigens, die sämtlich ein strafloses Verhalten von Edathy beschreiben.

Warum haben sich diese hohen und höchsten Repräsentanten – fast ausnahmslos Juristen – nicht an die Gesetze gehalten? Warum halten sie fundamentale Grundsätze des Rechtsstaates nicht ein? Derzeit wird von allen Beteiligten sehr viel über diese Angelegenheit geredet. Eine Antwort auf diese Fragen blieb bisher aus.

Verlängerung der Wahlzeit des Bundestages ist undemokratisch

Die von Bundestagspräsident Norbert Lammert vorgeschlagene Verlängerung der Wahlzeit des Bundestages auf fünf Jahre ist undemokratisch, weil sie die demokratische Legitimation der politisch Handelnden verringert. Der Abstand zwischen den Wählerinnen und Wählern und den Gewählten würde sich vergrößern und die Einflussmöglichkeit der Bürgerinnen und Bürger auf die Politik noch einmal verringern. Die Große Koalition sollte ihre verfassungsändernde Mehrheit nicht zum Abbau der Demokratie nutzen, sondern im Grundgesetz ein Mehr an Demokratie verankern. So könnte man endlich Volksabstimmungen ermöglichen, zu der es nach ebenso herrschender wie falscher Auffassung einer Grundgesetzänderung bedarf. Oder man könnte die Wahlzeit des Bundestages verkürzen, um so den Einfluss der Bürgerinnen und Bürger auf die Politik zu stärken. Im Bereich der Grundrechte ist eine Stärkung des Persönlichkeitsrechtes dringend erforderlich, um den massiven Eingriffen in dieses Recht besser begegnen zu können.

BVerfG berät über Verfassungsmäßigkeit der 3%-Klausel bei Europawahl

Das Bundesverfassungsgericht berät derzeit über die Verfassungsmäßigkeit der Drei-Prozent-Sperrklausel im Europawahlrecht. Der Bundestag hatte im Oktober 2013 diese Sperrklauseln für die Europawahl eingeführt, nachdem das Bundesverfassungsgericht im November 2011 die bis dahin geltende Fünf-Prozent-Klausel für verfassungswidrig erklärt und aufgehoben hatte. Das Gericht hatte die Sperrklausel aufgehoben, weil sie gegen die vom Grundgesetz garantierte Wahlrechtsgleichheit verstößt. Danach muss der Wert der abgegebenen Stimmen gleich sein. Bei einer Sperrklausel fallen jedoch jene Stimmen unter dem Tisch, die für jene Parteien abgegeben wurden, die die Sperrklausel nicht überspringen.  Dies sei nur dann verfassungsgemäß, wenn die Funktionsfähigkeit des zu wählenden Vertretungsorgans beeinträchtigt ist. Für das Europaparlament hatte das Gericht eine solche Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit bereits deshalb verneint, weil auch mit der Sperrklausel in Deutschland 160 Parteien dem Europaparlament angehören. Außerdem gehöre es nicht zu den Aufgaben dieses Parlamentes – hierin unterscheide es sich vom Deutschen Bundestag -, eine stabile Regierung zu bilden. Schließlich betonte das Gericht die Gefahr, dass der deutsche Wahlgesetzgeber mit einer Mehrheit von Abgeordneten die Wahl eigener Parteien auf europäischer Ebene durch eine Sperrklausel und den hierdurch bewirkten Ausschluss kleinerer Parteien absichern könnte. Auf der Grundlage dieser Maßstäbe dürfte auch die Drei-Prozent-Klausel verfassungswidrig sein. In der mündlichen Verhandlung wollte das Gericht aber nicht nur über diese Wahlrechtsgrundsätze verhandeln. Thema war auch die Bindungswirkung des verfassungsgerichtlichen Urteils zur Aufhebung der Sperrklausel vom November 2011, das daraus folgende Normwiederholungsverbot und das Gebot der Organtreue. Auf deutsch: Das Bundesverfassungsgericht wollte wissen, warum der Bundestag ein Urteil des Gerichts nicht einhält.

 

Stadt Kassel verfolgt unnachgiebig eine Whistleblowerin

Mit großer Unnachgiebigkeit verfolgt die Stadt Kassel eine Mitarbeiterin, die auf einen Missstand in ihrem Amt aufmerksam machte. Sie berichtete ihren Vorgesetzten – darunter dem Oberbürgermeister -, dass die Leiterin ihres Amtes, und zwar ausgerechnet des Revisionsamtes, eine weitere Mitarbeiterin mit dem Abtippen der eigenen Dissertation beschäftigte. Und zwar während der Dienstzeit. Als nach Wochen trotz mehrfacher Erinnerungsschreiben nichts geschah, informierte sie die Fraktionen des Stadtparlamentes. Von dort gelangte der Vorgang an die Öffentlichkeit. Jetzt reagierte die Stadt sofort.  Mit einer Abmahnung – gegen die Whistleblowerin. Sie habe das Ansehen der Stadt und des Oberbürgermeisters beschädigt, so die Begründung für die Abmahnung.

Das von der Mitarbeiterin angerufene Arbeitsgericht teilt die Auffassung der Stadt offenbar nicht. In der Güteverhandlung hat es zu erkennen gegeben, dass die Klägerin kein Dienstgeheimnis offenbart habe, weil das Abfassen einer Dissertation nicht zu den dienstlichen Aufgaben einer städtischen Mitarbeiter gehören dürfte. Zudem habe die Mitarbeiterin nichts öffentlich gemacht, weil die Fraktionen Teil der Verwaltung seien. Erst von dort gelangte der Vorgang an die Presse. Schließlich könne sich die Klägerin auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte berufen. Danach sei Whistleblowing dann von der Meinungsfreiheit geschützt, wenn zuvor erfolglos versucht worden sei, den Missstand intern zu beheben. Die Vertreter der Stadt blieben uneinsichtig. Der Richter räumte ihnen die Möglichkeit ein, bis zum Kammertermin Neues vorzutragen. Darauf darf man gespannt sein.

VG Schleswig-Holstein: Gebührenbescheide für Polizeieinsatz bei Castor-Transport sind rechtswidrig

Das schleswig-holsteinische Verwaltungsgericht hat zwei Gebührenbescheide der Bundespolizei für den Polizeieinsatz bei einem Castor-Transport aufgehoben. Die Kläger hatten sich an der Fahrstrecke angekettet und wurden von Beamten der Bundespolizei von dort entfernt. Die Kosten für den Einsatz in Höhe von über 8.000,- € stellte die Behörde den Klägern durch Bescheid in Rechnung. Das Verwaltungsgericht hob die Bescheide auf, weil die Regelung der Kostentragungspflicht im Bundespolizeigesetz nicht bestimmt genug ist. Die Wahrnehmung ihres Grundrechtes auf Versammlungsfreiheit bleibt für diese Kläger kostenlos. Wäre die schleswig-holsteinische Polizei tätig geworden, so hätte diese den Ersatz der Kosten von den Klägern verlangen können. Die Rechtsgrundlagen dort sind der Rechtsprechung detailliert genug. Ob dies jeder Bürger versteht?

Bundesverwaltungsgericht: Der Haar- und Barterlass der Bundeswehr ist rechtmäßig

Das Bundesverwaltungsgericht hat entschieden, dass der sogenannte Haar- und Barterlass der Bundeswehr rechtmäßig ist. Dieser sieht für männliche Soldaten vor, dass das Haar am Kopf anliegen oder so kurz geschnitten sein muss, dass Ohren und Augen nicht bedeckt werden; das Haar muss so getragen werden, dass bei aufrechter Kopfhaltung der Uniform- und der Hemdkragen nicht berührt werden. Für weibliche Soldaten fehlt es an einer entsprechenden Regelung. Hiergegen klagte ein Wehrpflichtiger, der bei Antritt des Wehrdienstes rund 40 cm lange Haare trug. Das Bundesverwaltungsgericht hält diesen Erlass wegen seines Regelungszieles für rechtmäßig. Der spezifische Auftrag und die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte seien “unverändert in einem hohen Maß durch ein nach außen einheitliches Auftreten und einen nach innen engen Zusammenhalt ihrer Angehörigen geprägt.” Deshalb müsse der Kläger Einschränkungen in der freien Gestaltung seiner Haartracht hinnehmen, um das “Regelungsziel eines einheitlichen äußeren Erscheinungsbilds der Bundeswehr bei der Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags im In- und Ausland” zu gewährleisten. Besonders bemerkenswert: Längere Haare bei weiblichen Soldaten stören dieses einheitliche Erscheinungsbild bei der Erfüllung des Verteidigungsauftrages nicht. Dabei handelt es sich nach Auffassung des Gerichts um eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr. Und außerdem habe sich bei Soldatinnen noch keine Tradition oder Erwartungshaltung bezüglich ihres Erscheinungsbildes verfestigt.

Der Erlass verstößt gegen Art. 2 Abs. 1 GG, der die allgemeine Handlungsfreiheit schützt, weil ein einheitliches Auftreten der Soldaten herbeigeführt durch einen kurzen Haarschnitt für die Erfüllung des Verteidigungsauftrages unerheblich ist. Zudem wird dieses einheitliche Auftreten durch die weiblichen Soldaten ohnehin nicht mehr erreicht. Es liegt außerdem ein Verstoß gegen Art. 3 GG, den Gleichheitssatz, vor. Es gibt keinen sachlichen Grund, die männlichen Soldaten hier anders als die weiblichen Soldaten zu behandeln. Der Erlass setzt damit willkürliches Recht.

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte fällt weitreichende und aufsehenerregende Entscheidung zur Meinungsfreiheit

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine spektakuläre Entscheidung zur Meinungsfreiheit gefällt, die in den Mitgliedstaaten der Konvention, zu denen Deutschland gehört, weitreichende Folgen haben dürfte. Ein türkischer Politiker hatte im Jahr 2005 bei mehreren Konferenzen in der Schweiz die Charakterisierung der Massaker an Armeniern während des Osmanischen Reiches im Jahre 1915 als internationale Lüge bezeichnet. Er wurde daraufhin im Jahre 2007 in der Schweiz wegen Rassendiskriminierung zu einer Geldstrafe verurteilt. Hierin sieht das Gericht einen Verstoß gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Meinungsfreiheit. Die freie und offene Diskussion unterscheide eine Demokratie von totalitären und diktatorischen Regimen. Deshalb müsse auch bei sensiblen Fragen der Meinungsfreiheit Vorrang eingeräumt werden. Dies gelte insbesondere im Bereich der Geschichtsschreibung, die grundsätzlich umstritten sei und die sich deshalb nicht für objektive und absolute Wahrheiten oder definitive Schlussfolgerungen eigne. Man müsse aufpassen, so das Gericht, dass die Meinungsfreiheit nicht durch Sanktionen unterdrückt werde und die Bürger davon abgehalten werden, sich kritisch zu äußern.

Das Urteil hat nicht nur Bedeutung für die Schweiz, sondern auch für Frankreich. Dort hatte es im Jahre 2012 eine heftige Diskussion darüber gegeben, ob man die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern strafbewehrt verbieten darf. Auch in Deutschland verbietet das Strafgesetzbuch etwa in den §§ 90a und 130 das Äußern bestimmter Meinungen und stellt sie unter Strafe. Man darf gespannt sein, ob die staatlichen Organe in Deutschland diese Rechtsprechung aufgreifen und der Meinungsfreiheit als das für eine Demokratie schlechthin konstituierende Grundrecht wieder mehr Gewicht einräumen.