Matrosenaufstand, Räterepublik und politische Kämpfe – Ausstellung zur politischen Geschichte in Deutschland 1918 und danach

Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Die deutsche Geschichte im Jahr 1918 ist auch die Geschichte einer gescheiterten Revolution im November 1918. Dies wird in der aktuellen Sonderausstellung im Marburger Staatsarchiv mit Originaldokumenten anschaulich vor Augen geführt. Im Erdgeschosss finden sich in Vitrinen viele Dokumente ausgestellt, die veranschaulichen, dass die Geschehnisse keinesfalls alleine in Berlin oder anderen Großstädten zu verorten sind. Sternbald-Foto Hartwig Bambey(yb)

(yb) Im Staatsarchiv Marburg als Ort zur Verwahrung historisch wichtiger Unterlagen und Dokumente gehört die Präsentation von Ausstellungen mit historischen Inhalten dazu. Es ist hier seit Jahrzehnten guter Usus eigene Präsentationen zur Geschichte zu entwickeln und meist mit Quellen aus den Archivbeständen auszustatten. Wer in diesen Tagen die großzügige Eingangshalle betritt, wird von Plakaten, Aufrufen und Dokumenten einer Ausstellung angesprochen, in der die revolutionären Umbrüche und Auseinandersetzungen der Jahre 1918 und 1919 thematisiert werden. Viele Doumente, gut lesbar und betrachtbar in Vitrinen ausgelegt, zeigen dabei auf, dass die politischen Auseinandersetzungen vor 100 Jahren keinesfalls alleine in Berlin, München oder in anderen fernen Großstädten stattgefunden haben.

Zahlreiche Dokumente, Flugblätter, Regierungsverordnungen und Zeitungsberichte geben ein lebendiges Zeugnis der Ereignisse der Jahre 1918 und 1919, als um die politische Zukunft heftig gerungen wurde. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

In Nordhessen, ob in Marburg selbst, in Arolsen, Wolfhagen oder Kassel, haben verschiedene Akteure, darunter Arbeiter- und Soldatenräte das Geschehen maßgeblich mit bestimmt. Die Austellung zu den Jahren 1918 und 1919 – im Anschluss an den Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches als Verlierermacht im 1. Weltkrieg – im unteren Bereich des Staatsarchivgebäudes am Friedrichsplatz widmet sich dem lokalen Geschehen und Ereignissen in Nordhessen.

Eine schlichte Armbinde gibt Zeugnis. Es hat nicht nur einen Arbeiter-, Soldaten- und Bauernrat in Wolfhagen (nahe Kassel) gegeben. Dieser war zugleich im Einklang mit staatlichen Stellen für die Aufrechterhaltung von Ordnung engagiert. Die (ewige) Behauptung, dass linke Politiker lediglich Zusammenbruch und Zerstörung heraufbeschwören würden, wird mit einem solchen Sachzeugniss deutlich widerlegt. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Durch kluge Auswahl und Anordnung der meist schriftlichen Exponate wird die Zeit der von politischen Kämpfen zwischen rechts und links geprägten mühsamen Entstehung einer neuen demokratischen Staatsordnung sehr anschaulich.

In Ergänzung und Weiterführung der Vergegenwärtigung von 1918 führt eine Präsentation mit zahlreichen Thementafeln auf der umlaufenden Galerie des Obergeschosses weiter in die Zusammenhänge des revolutionären Deutschland jener Zeit. Diese Ausstellung ist bereits seit November im Staatsarchiv Marburg zu sehen und wird im Anschluss wandern zum Staatsarchiv in Darmstadt und zum Hessischen Hauptstaatsarchiv Wiesbaden.

Während im unteren Bereich viel lokale Dokumente und Zeugnisse aus Nordhessen, dem Zuständigkeitsbereich des Marburger Staatsarchivs, als Originale gezeigt werden, präsentiert die (Wander-)Ausstellung oben die allgemeinen Zusammenhänge der Jahr 1918 und 1919. Damit eröffnet sich Besuchern – unter denen man sich viele Schüler und Schulklassen wünschen kann – der historisch-politische Überbau jener Zeit.

Dabei wurden wiederum eine Vielzahl von Schrift-, Plakat- und Zeitungsbelegen verwendet um gut strukturierte Tafeln in einer chronologisch-inhaltlichen Abfolge und Kontextualisierung zu gestalten. Beim „Lesen“ der Ausstellung offenbart sich viel Kompetenz seitens der Macher. Diese wussten, dass sie ein Thema und politische Verhältnisse zu beschreiben hatten, die keinesfalls einfach und übersichtlich waren.

Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Den Auftakt der revolutionär-politischen Ereignisse in Deutschland zum Ende des 1.Weltkrieges markierte der Matrosenaufstand in Kiel. Dies findet sich in einer Ausstellungstafel übersichtlich vermittelt. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

So bietet das Staatsarchiv Marburg eine hochinteressante Doppelausstellung an, deren Besuch nur empfohlen werden kann. Gerade angesichts aktueller (partei-)politischer Entwicklungen mit problematischen neurechten und neonazistischen Kräften ist eine umsichtige und kompetente Vergegenwärtigung der Geschichte Deutschlands der letzen 100 Jahre geboten. Diese Ausstellung in Marburg lädt dazu ein, sie sollte gerade in Schulen bekannt sein und viele LehrerInnen mit ihren Schülern auf die Beine bringen. Sehr anschaulich, gut aufbereitet und unbedingt zu empfehlen.

Die Ausstellung mit dem klaren Titel „Es lebe die deutsche Republik“ kann bis 25. Mai im Staatsarchiv Marburg besucht werden. Auf Anfrage und nach Vereinbarung werden dazu Führungen angeboten.

Öffnungszeiten
Montag bis Freitag 8.30 – 16.30 Uhr
Dienstag bis Donnerstag 8.30 – 19.00 Uhr

Zu der Ausstellung ist ein sehr gut ausgestatteter Katalog erschienen, der vor Ort für 10 Euro erworben werden kann und gute Gelegenheit bietet zu Hause das vielschichtige Thema zu vertiefen und zu durchdringen.
Originalveröffentlichung in das Marburger. Online-Magazin (Lizensiert durch Sternbald Intermedia)

100 Jahre Weimarer Reichsverfassung – nicht zu viel Demokratie, sondern zuwenig Demokraten

Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1919, trat in Weimar die verfassunggebende Nationalversammlung zusammen. Die neue Verfassung, die die Versammlung Deutschland gab, bedeutet verfassungsrechtlich einen tiefen Einschnitt: Aus der konstitutionellen Monarchie wurde eine parlamentarische Demokratie. Nach der neuen Verfassung wurde die Reichsregierung nicht mehr unabhängig vom Parlament allein vom Staatsoberhaupt eingesetzt, sondern bedurfte zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Das Mehrheitswahlrecht wurde durch das Verhältniswahlrecht ersetzt und erstmals durften auch Frauen wählen. Die bereits in der Paulskirchenverfassung von 1849 enthaltenen bürgerlichen Grundrechte wurden in die Weimarer Verfassung aufgenommen und durch soziale Grundrechte erweitert. Beschlossen wurde diese fortschrittliche und demokratische Verfassung von den Parteien der Weimarer Koalition aus SPD, dem katholischen Zentrum, einer Vorläuferpartei der heutigen CDU, und der linksliberalen DDP. Die rechtsliberale DVP, die konservative DNVP – beide im Kern monarchistisch und antidemokratisch – sowie die USPD, aus der die KPD hervorging, stimmten gegen die Verfassung. Bereits in der ersten Reichstagswahl 1920 verlor diese Koalition dramatisch an Zustimmung und erreichte zusammen nur noch 43,6% der Stimmen. Bei der Wahl zur Weimarer Reichsversammlung im Jahr 1919 hatte sie noch eine komfortable Mehrheit von zusammen 76,1% erreicht. Die Parteien der Weimarer Koalition sollten im Verlauf der ersten deutschen Demokratie  bei den Reichstagswahlen keine Mehrheit mehr erringen und waren fortan zur Mehrheitsbildung auf Parteien angewiesen, die die Demokratie ablehnten. Dies und die fehlende Akzeptanz der neuen Staatsform in den nach wie vor monarchistisch und antidemokratisch gesinnten Eliten in Staat und Gesellschaft führten spätestens 1933 mit der Machtübergabe an Hitler zum Scheitern der Weimarer Republik. Die Mehrheit der Deutschen lehnte die neue, demokratische Staatsform ab. In einer Gesellschaft, in der die Demokraten in der Minderheit sind, kann Demokratie nicht gelingen. Jedenfalls diese Lehre aus Weimar dürfte zu ziehen sein. Und dies gilt bis heute.

100 Jahre deutsche Republik

Vor 100 Jahren, am 9. November 1918, trat der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann auf einen der Westbalkone des Reichstages und rief die Republik aus. Der erste Reichskanzler der Weimarer Republik und spätere Kasseler Oberbürgermeister kam damit – zwischen „Vorsuppe und Nachspeise“, so Scheidemann, Karl Liebknecht von der USPD wenige Stunden zuvor, der am Nachmittag die Räterepublik ausrief. Der 9. November 2018 markiert damit das Ende des Kaiserreichs und den Beginn der ersten deutschen Demokratie, der Weimarer Republik. Der Übergang von einer konstitutionellen Monarchie zu einer parlamentarischen Demokratie bedeutete verfassungsrechtlich einen tiefen Einschnitt.  Die Reichsregierung wurde nicht mehr unabhängig vom Parlament allein vom Staatsoberhaupt eingesetzt, sondern bedurfte zu ihrer Amtsführung des Vertrauens des Reichstages. Das Mehrheitswahlrecht wurde durch das Verhältniswahlrecht ersetzt und erstmals durften auch Frauen wählen. Die bereits in der Paulskirchenverfassung von 1849 enthaltenen bürgerlichen Grundrechte wurden in die Weimarer Verfassung aufgenommen und durch soziale Grundrechte erweitert. Beschlossen wurde diese fortschrittliche und demokratische Verfassung von den Parteien der Weimarer Koalition aus SPD, dem katholischen Zentrum, einer Vorläuferpartei der heutigen CDU, und der linksliberalen DDP. Die rechtsliberale DVP, die konservative DNVP – beide im Kern monarchistisch und antidemokratisch – sowie die USPD, aus der die KPD hervorging, stimmten gegen die Verfassung. Bereits in der ersten Reichstagswahl 1920 verlor diese Koalition dramatisch an Zustimmung und erreichte zusammen nur noch 43,6% der Stimmen. Bei der Wahl zur Weimarer Reichsversammlung im Jahr 1919 hatte sie noch eine komfortable Mehrheit von zusammen 76,1% erreicht. Die Parteien der Weimarer Koalition sollten im Verlauf der ersten deutschen Demokratie  bei den Reichstagswahlen keine Mehrheit mehr erringen und waren fortan zur Mehrheitsbildung auf Parteien angewiesen, die die Demokratie ablehnten. Dies und die fehlende Akzeptanz der neuen Staatsform in den nach wie vor monarchistisch und antidemokratisch gesinnten Eliten in Staat und Gesellschaft führten spätestens 1933 mit der Machtübergabe an Hitler zum Scheitern der Weimarer Republik. Die Mehrheit der Deutschen lehnte die neue, demokratische Staatsform ab. In einer Gesellschaft, in der die Demokraten in der Minderheit sind, kann Demokratie nicht gelingen. Jedenfalls diese Lehre aus Weimar dürfte zu ziehen sein. Und dies gilt bis heute.