Museumslandschaft Hessen Kassel: „Hier zu wirken ist keine Arbeit, sondern ein Vergnügen!“ – Ein Gespräch mit Direktor Martin Eberle

(yb) Seit Mai des vergangenen Jahres hat die Museumslandschaft Hesssen Kassel (mhk), die in ihrer Art größte und bedeutendste Kulturinstitution in Hessen für zahlreiche Museen und drei Parklandschaften, einen neuen Leiter. Die Findungskommission hatte Prof. Dr. Martin Eberle vorgeschlagen als Nachfolger für den in Ruhestand gegangenen vorherigen Direktor Küster. Seit Amtsantritt des neuen Direktors sind inzwischen mehr als 100 Tage vergangen. In Kassel warten auf den neuen Leiter viele Aufgaben, worunter die (weitere) Sanierung von Gebäuden und Elementen der Wasserspiel-Anlagen, nur ein Teilbereich sind. Dies gibt guten Anlass, den neuen Mann in Kassel und Leiter für das Weltkulturerbe Bergpark Wilhelmshöhe, das Schloss Wilhelmshöhe mit seiner herausragenden Antiken- und Gemäldesammlung, die Neue Galerie, das Landesmuseum, das Astronomisch-physikalische Kabinett, Schloss Wilhelmsthal und weitere wertvolle Hinterlassenschaften der Hessischen Landgrafen zu seinen Einschätzungen und Vorstellungen zu befragen. Im Nachgang zum ersten Jahrespressegespräch, das der neue mhk-Direktor am 16. Januar angeboten hatte, beantwortete Prof. Dr. Martin Eberle die Fragen der Redaktion.

In der Neuen Galerie soll zukünftig der Darstellung der documenta und von documenta-Künstlern mehr Raum gegeben werden. Ein Konzept dafür hat der neue mhk-Direktor Martin Ebeling inzwischen in Auftrag gegeben. Das Foto hier zeigt Besucherinnen während der Kasseler Museumsnacht 2016. Sternbald-Foto Hartwig Bambey


Redaktion: Sie haben sich von der gewichtigen Position als Direktor der Gothaer Schloss- und Museumslandschaft abwerben lassen um Direktor der Museumslandschaft Hessen Kassel (mhk) zu werden. Was reizt Sie an der Arbeit und den Aufgaben als Direktor in Kassel?
Direktor Eberle: Kassel ist eine der führenden Sammlungen alter Kunst in Deutschland – was sowohl die Quantität der Sammlungen wie deren Qualität betrifft. Dies gilt nicht nur für die wirklich herausragenden Gemälde und die Antikensammlung, sondern auch für das astronomisch-physikalische Kabinett und den kunsthandwerklichen Bereich. Hinzu kommen die Schlösser – Wilhelmshöhe, das Orangerieschloss, Wilhelmsthal und die Löwenburg – alles Bauten von höchstem europäischem Rang. Und die Gärten – über den Bergpark als Weltkulturerbe muss ich hier, glaube ich, gar nicht schwärmen. Dies alles ist natürlich für einen Kunsthistoriker unglaublich reizvoll! Hier zu wirken ist eben keine Arbeit, sondern ein Vergnügen!

Redaktion: Wo liegen in Kassel in Ihren Augen die Hauptaufgaben, nachdem wesentliche Ziele der Sanierung und des Ausbaus, zum Beispiel Neubau samt Wettbewerb für das Deutsche Tapetenmuseum am Brüder-Grimm-Platz, längst formuliert und vieles zum guten Teil bereits umgesetzt wurde?
Direktor Eberle: Sicherlich wird es in den nächsten Jahren und Jahrzehnten darum gehen die in Fachkreisen sehr wohl bekannte Sammlung einer breiteren Öffentlichkeit zu erschließen. Es geht schlicht und einfach darum, Besucherzahlen zu gewinnen – aber nicht, um die Quote zu erfüllen, sondern tatsächlich um dieses bedeutsame europäische Erbe einem breiten Kreis bekannt zu machen, es erlebbar zu machen, es zu öffnen. Dabei sind aber auch nur scheinbar wesenliche Ziele erreicht – Bauten wurden saniert und neu eingerichtet wie die Neue Galerie oder das Landesmuseum, ein Neubau, das Tapetenmuseum, wird gerade geplant und gebaut. Aber es gibt eben auch noch viel zu tun: Der Marstall und der Gartenbetriebshof müssen saniert und gebaut werden, die Ausstellung im astronomisch-physikalischen Kabinett muss überarbeitet werden, der Weissensteinflügel von Schloss Wilhelmshöhe muss saniert werden, was nun auch schon eingeleitet wurde. Es ist dabei immer wieder hervorzuheben, dass die Landesregierung nicht nur bereits schon viel geschafft hat, sondern weiterhin höchstes Interesse an der Weiterentwicklung der Museumslandschaft Hessen Kassel zeigt und die Weiterentwicklung befördert.

Redaktion: Für Gotha haben Sie die Zielstellung „Barockes Universum Gotha“ als Masterplan maßgeblich selbst entwickelt. Sehen Sie für Kassel ähnliche Möglichkeiten in der hiesigen, recht heterogenen, Museumslandschaft eine Eigenart und „Markenbestimmung“ über den UNESCO-Weltkulturerbestatus hinaus zu etablieren?
Direktor Eberle: Ich finde die Museumslandschaft Hessen Kassel überhaupt nicht heterogen: Hier liegen schlicht und einfach eine 600jährige Tradition des landgräflichen Sammelns zu Grunde! Das zeichnet die Sammlung eben aus, das zeichnet die Museumslandschaft aus. Und dies äußerst sich nicht nur in den Sammlungen von Weltrang, sondern eben auch in den Gebäuden und in den Gärten. Das ist phantastisch – und einzigartig. Hier muss man für die Markenbestimmung anknüpfen!

Redaktion: Welche Stärken und nicht erkannten bzw. angesprochenen Potentiale sehen Sie in Kassel, die mit Ihnen als Direktor zur Entfaltung kommen können oder sollen?
Direktor Eberle: Die Stärke ist diese einheitlich gewachsene Sammlungsstruktur, die sich immer noch am authentischen Ort mit den originalen Schlössern und Gärten wiederfindet. Die Museumslandschaft ist schlicht und einfach eine Einheit, ein eins! – das ist eine riesige Stärke. Das Potential, ein international anerkanntes museal-kulturelles Zentrum zu sein ist riesig! Das muss man weiterentwickeln!

Redaktion: Welche Schwächen und Defizite sehen Sie innerhalb und für die Museumslandschaft Hessen Kassel?
Direktor Eberle: Ich sehe keine Schwäche: Was will man mehr, als Sammlungen von Weltrang, ein Weltkulturerbe, Gärten und Schlösser von höchster kulturhistorischer Bedeutung – und einem Land, das gewillt ist, dies zu stärken und auszubauen und hier bereits entscheidendes in der Vergangenheit erreicht hat. Wunderbar! Sicher – die Bauprojekte der letzten Jahre haben die Potentiale gebunden – aber nun kann man weiter an der Außenwirkung arbeiten.

Redaktion: Sollte für Kassel ein fortzuschreibender Masterplan entwickelt werden, bzw. sollten oder müssen die Ausbau- und Erhaltungs- und Restaurierungspläne fortgeschrieben und gegebenenfalls neu akzentuiert werden?
Direktor Eberle: Es gibt für Kassel einen Masterplan – und der wird natürlich immer wieder an die aktuellen Verhältnisse angepasst. Ein solch riesiges Erbe lässt sich eben nicht in wenigen Jahren bearbeiten – das braucht Jahre und Jahrzehnte. Und genau deshalb ist es die Pflicht, einen Masterplan immer wieder anzupassen. Ein erster Entwurf einer Aktualisierung ist ausgearbeitet. Ich finde das wichtig, wenn man effizient und zielgerichtet an einem solch hochbedeutenden Ensemble wirkt.

Besucherandrang mit langer Warteschlange vor der Neuen Galerie während der documenta 14 im Jahr 2017 sind Ausnahmesituation und ein Phänomen während der documenta als Weltkunstausstellung. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Redaktion: Stehen für die laufenden und kommenden Aufgaben in Kassel hinreichend Ressourcen, Finanzmittel, geeignetes Personal und operative wie strategische Zielformulierungen zur Verfügung?
Direktor Eberle: Ja, die Museumslandschaft ist gut ausgestattet! Das ist nicht in jedem Bundesland so wie in Hessen, dass eine Landesregierung so selbstverständlich hinter seinem historischen Erbe steht. Ich finde das wirklich sehr beeindruckend. Natürlich kann man immer mehr Mittel, mehr Personal benötigen, denn wir in der Kultur haben natürlich auch immer kreative Ideen, die umgesetzt werden wollen. Aber seien wir doch einmal ehrlich: Was hat das Land Hessen nicht schon alles für Kassel erreicht, seitdem die Museumslandschaft Hessen Kassel vor gut zehn Jahren ins Leben gerufen wurde!

Redaktion: Welche drei Wünsche haben Sie an das Land Hessen als neuer Direktor der mhk?
Direktor Eberle: Ich habe nur einen Wunsch an das Land Hessen: Weiter so!

Redaktion: Welche Wünsche haben Sie an die Stadt Kassel und die Bürgerschaft bzw. Menschen in der Stadt und Region?
Direktor Eberle: Ich freue mich immer wieder, welche unglaublich hohe Akzeptanz die Schlösser, Gärten und Sammlungen in der Bürgerschaft Kassels und Nordhessens haben! Das ist sehr wichtig, dass die örtliche Bevölkerung stolz ist auf ihr Erbe, auf die aktuelle Kultur! Und dies ist in Kassel und in der Region ausgesprochen ausgeprägt! – also kann ich auch keine Wünsche haben!

Redaktion: Kassel hat als documenta-Stadt, als Brüder-Grimm-Stadt und mit dem Bergpark Willhelmshöhe in der Museumslandschaft gleich drei Weltmarken vorzuweisen. Liegt hier nicht eine besondere Art von Konfliktstellung vor, in der es zu (ungewollten) Zielkonflikten und Konkurrenzgegebenheiten etwa bei der Vermarktung, kommt oder zukünftig verstärkt kommen kann?
Direktor Eberle: Nein, das ist keine Konkurrenz, das ist eine unglaubliche Chance für Synergien! Und es ist toll, wie in Kassel und in der Region die Akteure in allen Bereichen – von der Wissenschaft bis zum Marketing – hier bereits zusammen agieren. Neid- und Konkurrenzlos. Sehr gut!

Redaktion: Braucht es nicht so etwas wie eine übergreifende Stabsstelle mit bester personeller Ausstattung zwischen Stadt Kassel, dem Land Hessen, der Museumslandschaft, der GRIMMWELT und weiteren Kulturinstituten, um nach innen und außen besser und stärker zu wirken und Perspektiven zu entwickeln. Eine Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2025 hat man in Kassel gerade abgeblasen.
Direktor Eberle: Wozu soll die Stabsstelle hilfreich sein? Die Akteure sind gut vernetzt und arbeiten Hand in Hand zusammen. Was will man mehr?

Redaktion: Müssten nicht verstärkt Bekenntnis Ausbau und Perspektiven zu den enormen Kulturpotentialen Kassels in Arbeit gehen statt kulturelle Selbstverzwergung zu betreiben?
Direktor Eberle: Woran machen Sie die kulturelle „Selbstverzwergung“ fest? Ich empfinde das gar nicht so! Ganz im Gegenteil: Kassel und die Region haben in den letzten Jahrzehnten an Selbstbewusstsein und an Stolz gewonnen. Dies merkt man auch in der Stadt, an Läden, Lokalen, am kulturellen Leben in allen Bereichen: Hier spürt man Lebensfreude, Lust – und eben immer wieder auch diesen Stolz auf die eigene Stadt! Das hat viele Begründungen: Kassel ist wirtschaftlich erfolgreich, es ist nicht mehr Zonenrandgebiet, sondern in der Mitte Deutschlands, die documenta erfreut sich seit Jahrzehnten eines weltweiten Ansehens, die Museumslandschaft wird befördert, der Bergpark ist Weltkulturerbe geworden, die Studentenzahlen sind gestiegen etc. etc … Kassel: Eine Erfolgsgeschichte, wie ich meine!

Redaktion: Kassel erhält ein wissenschaftliches documenta-Institut, verbunden mit drei neuen Stiftungsprofessuren. Werden die in Hessen Kassel und in Kurhessen historisch über Jahrhunderte gewachsenen baulichen Bestände, die Kunstsammlungen und Parklandschaften in der wissenschaftlichen Arbeit und Forschung angemessen berücksichtigt?
Direktor Eberle: Ja, die Bauten, Gärten und die Sammlungen der Museumslandschaft sind innerhalb der Wissenschaften überhaupt kein Geheimtipp, sondern sie sind beständig Gegenstand von Wissenschaft und Forschung. Auch hier gilt: Viel ist noch zu tun – aber viel wurde auch schon getan! Und es ist doch gut, dass auch noch viel zu tun ist, denn das wird Generationen von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen weiterhin am Thema Kassel arbeiten lassen. Und auch wir, als Mitarbeiter der Museumslandschaft Hessen Kassel, profitieren von den Ergebnissen nicht nur passiv, sondern sind aktive Mitglieder in dieser Forschungscommunity.

Redaktion: Zu dem von Ihnen vorgefundenen „Erbe“ in der mhk gehört in den letzten Jahren ein Besucherschwund in den meisten Museen und Einrichtungen. Haben Sie bereits Ideen und Vorstellungen, was und wie hier umgesteuert werden kann? Stehen für eine Bewerbung Kassels um das internationale Publikum derzeit überhaupt hinreichende Ressourcen, Manpower, Geldetats und Marketingstrategien zur Verfügung? Andersherum gefragt: Hat man sich in Wiesbaden und in Kassel in den ersten Jahren nach der Verleihung des Weltkulturerbe-Titels zu sehr darauf „ausgeruht“ und ist man im übrigen zu sehr auf Baumaßnahmen fixiert und reduziert?
Direktor Eberle: Ich glaube, hier täuschen Sie sich. Ich kenne nur Zahlen, die eher von einer Kontinuität sprechen. Die Besucherzahlen halten sich über die Jahre konstant. Das ist erstaunlich, bedenkt man, dass doch auch viele Museen und Einrichtungen während der Baumaßnahmen geschlossen waren. Die Lust auf Kassel und die Museumslandschaft ging trotz dieser Einschränkungen eben gerade nicht zurück! Natürlich: Hier ist noch ein Anwachsen der Besucherzahlen möglich – sowohl aus der Region heraus, wie aber auch innerhalb des Tourismus. Die Baumaßnahmen, internen Umstrukturierungen und die Neueinrichtung der Museen haben natürlich auch die Kräfte aller Mitarbeiter gebunden – nun gilt es sich stärker zu öffnen. Dies wird gelingen, da bin ich mir sicher. Und hierzu haben wir ja auch viele, viele Ideen – lassen Sie sich überraschen und bleiben Sie uns einfach treu – es lohnt sich!

Redaktion: Wohnen Sie bereits in Kassel oder wollen Sie hier Ihren Wohnsitz nehmen?
Direktor Eberle: Bereits vor Amtsantritt bin ich hierher gezogen – und habe mich vom ersten Tag an wohl gefühlt! Das ist doch selbstverständlich, dass man in der Stadt wohnt, in der man einer solch bedeutenden Tätigkeit mit Vergnügen nachgehen kann!
Originalveröffentlichung in das Marburger. Online-Magazin (Lizensiert durch Sternbald Intermedia)