1918 Zwischen Niederlage und Neubeginn – Eindrücke von einer Ausstellung in Kassel


Den Ausstellungsititel >1918< zeigt dieses großformatige Display plakativ in Schriftzeichen, dazu jedoch weitschweifig und irritierende Motive einer erst Jahre nach 1918 in Erscheinung tretenden Frauenmode. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Ein Bericht in Worten und Fotografien von Hartwig Bambey. In Kassel haben das Stadtmuseum und die Museumslandschaft Hessen Kassel die Ereignisse vor 100 Jahren zum Ende des 1. Weltkrieges, die Novemberrevolution in Deutschland und die sich in das Jahr 1919 erstreckenden revolutionären und konterrevoutionären Ereignisse, die mit vielen blutigen Gewalthandlungen und Niederschlagungen verbunden waren, zum Anlass eines gemeinsamen großen Ausstellungsprojektes genommen. Die Ausstellung wird im Hessischen Landesmuseum am Brüder-Grimm-Platz und im Stadtmuseum Kassel am Ständeplatz seit 10. November 1918 bis zum 28. April 2019 präsentiert. Es wurden dazu Ideen und Ressourcen in einem gemeinsamen Projekt mit zwei räumlich getrennten Ausstellungsorten vereint, mit dem Vorzug, dass interessierte BesucherInnen die räumliche Distanz zwischen den beiden Museen fußläufig ohne weiteres überwinden können. Für die Umsetzung haben sich die Ausstellungsmacher/innen vom Stadtmuseum und dem Landesmuseum einiger institutioneller Unterstützung versichert, dazu wurde das Archiv der deutschen Frauenbewegung einbezogen. Besucherin kann erwartungsfroh den Ausstellungsbesuch angehen, wobei insgesamt 6 verschiedene Räume in ebensovielen Etagen der beiden Museen aufzusuchen sind. Trotz vorhandener Fahrstühle gerät der Besuch der Doppel-Ausstellung damit zur einigermaßen Zeit, Stehvermögen und Einlassungsfähigkeit erfordernden lohnenden Unternehmung.

Philipp Scheidemann war sozialdemokratischer Oberbürgermeister von Kassel und auch in Berlin ein herausragender Akteur, indem er in der Hauptstadt des deutschen Reiches die Republik ausgerufen hat. Im Stadtmuseum wird die Rolle Scheidemanns in vielfältiger Weise in der Ausstellung thematisiert und dargestellt. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Dass Kassel als Industrie- und Arbeiterstadt, Standort von Rüstungsbetrieben und auch mit politischen Akteuren eine ganze Menge mit den politisch bewegenden Zeiten der Jahre 1918/1919 verbindet, ja dass Kassel durchaus ein wichtiger Ort inmitten der Umbrüche dieser Zeit vor 100 Jahren gewesen ist, wird in der Ausstellung anschaulich und unübersehbar.

Zunächst meuternde und dann revolutionäre Matrosen und Soldaten waren wichtige Subjekte in der (gescheiterten) Novemberrevolution des Jahres 1918. Der hier abgebildete Aufruf belegt entsprechende Geschehnisse und das Wirken politisch aufbegehrender Kräfte in Kassel. Das Stadtmuseum präsentiert dazu einige Original-Dokumente aus dieser Zeit. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Insofern leistet die recht umfangreiche Ausstellung eine wichtige und dringend gebotene Vergegenwärtigung dieser jüngeren, folgenreichen deutschen Vergangenheit. Insbesondere die konkrete Verortung von Ereignissen und Zusammenhängen in Kassel und näherer Umgebung wird mit vielen Exponaten, wie Fotografien, Flugschriften, Plakaten und auch Sachzeugnissen anschaulich und augenscheinlich gemacht. Ohne die allgemeinen Geschehnisse in Deutschland auszublenden, versuchen die MacherInnen der Ausstellung für BesucherIn die unübersichtlichen Ereignisse ein Stück näher zu bringen und sie einzuordnen.

Im hinteren Treppenhaus des Stadtmuseums finden sich im Treppenhaus als Aufgang zu den verschiedenen Ausstellungsräumen großformatige und eindrucksvolle Bildzeugnisse wichtiger Geschehnisse aus der Berichtszeit der Ausstellung – eine gelungene Inszenierung, bei der die Bewegung der Besucher von Raum zu Raum genutzt wird. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Im Stadtmuseum werden Sonderausstellungen im neuen Anbau, verteilt über mehrere Etagen, gezeigt. Das unterbricht für Besucher die Betrachtung. Das Treppenhaus findet sich mit wandgroßen Fotografien einbezogen. Neben politischen Ereignissen versucht der Ausstellungsteil im Stadtmuseum auch die miserablen Lebensumstände für die Menschen in Deutschland, seien es Millionen Kriegsversehrte, von denen viele Prothesen benötigten, hungernde Menschen oder elendig in Lagern gehaltene Kriegsgefangene, zu vergegenwärtigen.

Im obersten Ausstellungsraum des Stadtmuseums verweisen Sachzeugnisse – aus den erst Jahre später bevorstehenden Zwanziger Jahren der Weimarer Republik – auf neue Produkterfindungen wie Tempo-Taschentücher oder Haribo-Süßigkeiten u.a.m.. Ein etwas verspielter und weitschweifiger Ausflug der Kuratoren in die viel später folgende Zeit, endlich wieder und mit neuen Annehmlichkeiten des Konsums und des täglichen Lebens. Sternbald-Foto und Montage Hartwig Bambey

Als Abschluss des (ersten) Teils der Ausstellung im Stadtmuseum Kassel, wird Besucher in den Ausstellungsraum ganz nach oben geführt, wo Jede/r aufgerufen ist mittels Klebepunkten auf großformatigen Tafeln zu markieren, welche politschen Forderungen aus dieser Zeit ihr oder ihm am wichtigsten erscheinen.

Im Landesmuseum thematisiert die Ausstellung wichtige Personen, Hintergründe und Zusammenhänge des Jahres 1918. Uniformen, Bilder, Plakate, Fotografien und Lebensläufe am 1. Weltkrieg beteiligter Soldaten vermitteln dort viele Einblicke und Eindrücke. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Der andere, zweite Teil der Gemeinschaftsausstellung „1918 zwischen Niederlage und Neugbeginn“ im Landesmuseum findet sich im großen Saal unten und im Sonderausstellungsraum ganz oben inszeniert. Dort empfiehlt es sich zunächst per Fahrstuhl zum Teil oben zu fahren und dort zu beginnen. Wer zuvor die Ausstellungsteile im Stadtmuseum besucht hat, kann im Landesmuseum weitere Zusammenhänge erkennen und vertiefen.

Foto und Lebenslauf eines Weltkriegssoldaten in einer interaktiven Bildschirm-präsentation. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Bis hin zu den Lebensläufen und Schicksalen einzelner Soldaten im 1. Weltkrieg geht die Präsentation. Auf einem vom Betrachter selbst steuerbaren Bildschirm können mittels „Blättern“ Fotos und zugehörige Lebensläufe von Soldaten betrachtet und gelesen werden, ein wichtiges interaktives Element in der Ausstellung. Der 1. Weltkrieg als zerstörerisches und im Zusammenbruch einmündendes Ereignis findet sich im Sonderausstellungsraum des Landesmuseums recht ausführlich dargestellt.

Als vierter Teilbereich dieser Ausstellung finden sich im großen Saal des Landesmuseums, direkt aus dem Foyer über wenige Stufen zugänglich, Werke von Künsterlinnen und Künstler aus dieser Zeit präsentiert. Bekannt sind besonders die eindrucksvollen Zeichnungen von Käthe Kollwitz, deren Sohn Opfer des Krieges geworden war. Es finden sich einige Zeichnungen von Käthe Kollwitz, die als Folge ihrer persönlichen Betroffenheit und des allgemeinen Leids, das der Krieg in Deutschland und Europa über Millionen Menschen unausweichbar gebracht hat, zu einer engagierten Kämpferin für Frieden wurde. Damit wird der Niederschlag von Krieg und Kriegswirren in der bildenden Kunst Gegenstand und Thema der Ausstellung. Im großen Saal findet sich dies angedeutet und bruchstückhaft in Werken zeitgenössischer Künstler ausgestellt. Mancher Besucher wird sich hier möglicherweise mehr Werke wünschen, haben doch die Jahre vor und nach 1918 gerade im Kunstschaffen deutliche Spuren, Brüche und Veränderungen als breiter Niederschlag zur Folge gehabt.

Kohlezeichnung „Mütter“ von Käthe Kollwitz 1919

Insgesamt präsentiert die Doppel-Ausstellung als Gemeinschaftsprojekt von Stadtmuseum und Landesmuseum sehr vieles und wichtiges. Damit wird in Kassel Gelegenheit für Einzelbesucher, Gruppen und Schulklassen zur Beschäftigung vor Ort geboten. Dies ist wichtig und ohne Zweifel gelungen, verlangt den BesucherInnen zugleich einige Einlassung, Zeit und die Mobilität zwischen zwei Ausstellungsorten ab. Dass die Ausstellung „1918 zwischen Niederlage und Neubeginn“ nicht zuletzt auf der Basis vorhandener Sachzeugnisse und Dokumente aus den späteren Zwanziger Jahren auch bereits Einblicke in Zeiten und Geschehnisse der Weimarer Republik, bis hin zum Jahr 1928, eröffnet, ist sicherlich weitgehend. Einen Schaden stiftet dies nicht, wenngleich manche/r sich mehr Erläuterung und Einlassung auf die Kernzeit wünschen wird. Das bleibt als Einschätzung und dann persönliche Meinung jedem und jeder selbst überlassen. Denn erst als BesucherIn vor Ort erschließen sich die vielen Hintergründe und Ereignisse, die im Kassel der Jahre um 1918 wichtig, folgenreich und prägend für die Nachfolgezeiten stattgefunden haben.

Die Anfänge von Kassel als Rüstungungsstandort gehen auf den 1. Weltkrieg zurück. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Über die Ausstellung und die zahlreichen Begleitveranstaltungen, darunter Führungen, Vorträge und Filmvorführungen, informieren ein Übersichtsflyer und die Webseiten vom Stadtmuseum und Landesmuseum. Ab nach Kassel…
Originalveröffentlichung in das Marburger.deOnline-Magazin(Lizensiert durch Sternbald Intermedia)

Stadtmuseum Kassel: Full House zum 4o-jährigen Bestehen

Die Fünfziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren in Kassel die Zeit des Wiederaufbaus der im Bombenkrieg 1943 völlig zerstörten Stadt. Dies zu vermitteln ist ein wichtiges Thema und Anliegen in dem Kasseler Haus zur Stadtgeschichte am Ständeplatz. Dass das Leben wieder begann den Menschen Freude zu machen, demonstriert der Kleinwagen dieser Zeit inmitten der ständigen Ausstellung. Am vergangenen Wochenende brauchte es schon einen besonderen Moment frühmorgens oder kurz vor Feierabend, um einen solchermaßen freien Blick auf das knubbelige Gefährt zu erwischen. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

(yb) Einen besonderen Grund hatten Kasseler Bürgerinnen und Bürger am vergangenen Wochenende ihr Stadtmuseum zu besuchen. 1979 – 2019 sind dafür die nackten Zahlen. Mithin seit 40 Jahren gibt es jetzt das städtische Haus der Geschichte zur Darstellung der über 1100 Jahre reichenden Kasseler Stadtgeschichte.


Keinen Kaktus sondern einen Blumentopf mit echtem „Henschel-Gras“ überreichte Karl-Hermann Wegner seinen Nachfolgern in der Museumsleitung Kathrin Schellenberg und Dr. Kai Füldner und unterließ es nicht zu erklären, das solche Grünpflanzen in den Henschel-Werken äußerst verbreitet waren, womit dem grünen Geschenk zugleich eine – wie könnte es anders sein – museale Seite zukommt.Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Wer wollte, konnte sich selbst von der erfolgreichen Aufbauarbeit der letzten 40 Jahren zu überzeugen und sich dabei vom Gründer und langjährigen Direktor i.R. Karl-Hermann Wegner höchstpersönlich durch die Dauerausstellung führen lassen. Karl-Herman Wegners persönliche Führung am Sonntagnachmittag war sehr überlaufen. Wann bietet sich Mensch in Kassel schon einmal solche Gelegenheit von dem Erfinder, unermüdlichen Sammler, Gründer und langjährigen Leiter des Stadtmuseums und zugleich besten Kenner der Stadtgeschichte Kassels durch die Räume geführt zu werden.

Die eckigen und damit dem Gebäudegrundriss ähnlichen Geburtstagstorten zum 40jährigen des Kasseler Stadtmuseums wurden am Sonntagmorgen nach einem Grußwort von Kulturdezernentin Susanne Völker von zwei Direktoren angeschnitten und serviert. Auf dem Foto freut sich Dr. Kai Füldner, rechts, als Direktor der Städtischen Museen schon darauf die Gäste höchstselbst persönlich einmal als Kellner zu bedienen. Währenddessen konnte sich Karl-Hermann Wegner als Museumsdirektor im Ruhestand, mitte, neben Kulturdezernentin Völker, ganz auf die gekonnte Handhabung des Tortenmessers konzentrieren. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Die umfangreiche und vielfältige Sammlung, die im Lauf der Zeit wesentlich durch Sach- und Geldspenden von Kasseler BürgerInnenn zusammen gekommen ist, konnte in den drei Etagen der Ständigen Ausstellung besichtigt, bestaunt und durchlaufen werden. Nach einer Auftaktveranstaltung am Freitag hieß es dazu Türen auf am Samstag und Sonntag – bei freiem Eintritt. So nimmt es nicht Wunder, dass über das Wochenende eine vierstellige Zahl von Kasselern durch die Räume strömte. Mitunter soll es hier und da ein wenig eng gewesen sein, wurde mitgeteilt. Wer frische Luft schnappen wollte oder musste, konnte dabei gleichzeitg oben im 4. OG auf dem Stadtbalkon im turmähnlichen Erweiterungsbau des Stadtmuseums den weiten Blick über die Innenstadt genießen.


Zum Museum gehört spielerisches ‚Begreifen‘, angeboten von den Freunden des Stadtmuseums im Untergeschoss. Sternbald-Foto Hartwig Bambey

Vom sonntagvormittäglichen Kuchen war schnell nichts mehr zu bekommen, dafür gab es im Untergeschoss unterhaltsame Angebote für jüngere Museumsgäste. Am Sonntagnachmittag hat es sich dann auch Hans Eichel, ehemals Oberbürgermeister von Kassel, danach Hessischer Ministerpräsident und schließlich Bundesfinanzminister, nicht nehmen lassen eine Führung zu übernehmen.
Originalveröffentlichung in das Marburger. Online-Magazin (Lizensiert durch Sternbald Intermedia)