Özil kritisiert DFB-Chef Grindel scharf – „Rassismus darf niemals akzeptiert werden“

Mesut Özil hat in seiner Rücktrittserklärung DFB-Präsident Reinhard Grindel scharf kritisiert und ihm Rassismus vorgeworfen. Er sei ihm gegenüber herablassend gewesen und habe in der Auseinandersetzung um das Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vor allem eigene Interessen verfolgt. Anders als Bundespräsident Frank Steinmeier sei er an den Gründen für das Entstehen des Fotos nicht interessiert gewesen. „Schweren Herzens und nach gründlicher Überlegung werde ich wegen der zurückliegenden Vorkommnisse nicht länger für die deutsche Nationalmannschaft spielen, da ich Rassismus und fehlenden Respekt spüre“, so Özil.
Hier die Erklärung Özils im Wortlaut:
„Die Sache, die mich wahrscheinlich am meisten in den vergangenen Monaten frustriert hat, war die schlechte Behandlung durch den DFB und vor allem durch den DFB-Präsidenten Reinhard Grindel. Nach meinem Bild mit Präsident Erdoğan wurde ich von Joachim Löw gebeten, meinen Urlaub zu verkürzen, nach Berlin zu reisen und ein gemeinsames Statement abzugeben, um alle Diskussionen zu beenden und die Sache richtig zu stellen. Als ich Grindel mein Erbe, meine Vorfahren und die daraus entstandenen Gründe für das Foto zu erklären versuchte, war er viel mehr daran interessiert, über seine eigenen politischen Ansichten zu sprechen und meine Meinung herabzusetzen. Während seine Handlungen herablassend waren, haben wir beschlossen, dass es das Beste wäre, sich auf den Fußball und die kommende Weltmeisterschaft zu konzentrieren. Das ist der Grund, warum ich nicht am DFB-Medientag während der WM-Vorbereitung anwesend war. Ich wusste, dass Journalisten, die über Politik und nicht Fußball berichten würden, mich nur attackiert hätten, obwohl die ganze Sache nach dem TV-Interview von Oliver Bierhoff vor dem Spiel gegen Saudi-Arabien in Leverkusen beendet hätte sein sollen. Während dieser Zeit habe ich auch den Bundespräsidenten, Frank-Walter Steinmeier, getroffen. Im Gegensatz zu Grindel war Präsident Steinmeier professionell und wirklich interessiert, was ich über meine Familie, meine Herkunft und meine Entscheidungen zu sagen hatte. Ich erinnere mich, dass das Treffen nur zwischen mir, Ilkay und Präsident Steinmeier stattfand, Grindel war verärgert, dass er nicht dabei sein durfte, um seine eigene politische Karriere zu forcieren. Ich hatte mit Präsident Steinmeier vereinbart, ein gemeinsames Statement zu diesem Thema zu veröffentlichen, ein weiterer Versuch, um voranzukommen und uns auf Fußball zu konzentrieren. Aber Grindel war verärgert, dass es nicht sein Team war, das das erste Statement veröffentlicht hatte, er war verärgert, dass die Presseabteilung Steinmeiers in dieser Sache die Führung übernommen hat. Seit dem Ende der Weltmeisterschaft ist Grindel wegen seiner Entscheidungen vor Turnierbeginn unter starken Druck geraten, und das zurecht. Zuletzt hat er öffentlich gesagt, dass ich noch einmal meine Handlungen erklären solle und gibt mir die Schuld für die schwachen Ergebnisse in Russland, obwohl er mir in Berlin gesagt hat, dass es erledigt sei. Ich spreche jetzt nicht wegen Grindel, sondern weil ich es will. Ich werde nicht länger als Sündenbock dienen für seine Inkompetenz und seine Unfähigkeit, seinen Job ordentlich zu erledigen. Ich weiß, dass er mich nach dem Foto aus dem Team haben wollte, und seine Ansicht bei Twitter ohne Nachdenken oder Absprache veröffentlicht hat, aber Joachim Löw und Oliver Bierhoff haben sich für mich eingesetzt und mich unterstützt. In den Augen von Grindel und seinen Unterstützern bin ich Deutscher, wenn wir gewinnen, und ein Immigrant, wenn wir verlieren. Obwohl ich Steuern in Deutschland bezahle, Einrichtungen für deutsche Schulen spende und die Weltmeisterschaft 2014 mit Deutschland gewonnen habe, bin ich noch immer nicht in der Gesellschaft akzeptiert. Ich werde behandelt, als wäre ich ‚anders‘. Ich wurde mit dem ‚Bambi‘ 2010 als Beispiel für erfolgreiche Integration in die deutsche Gesellschaft ausgezeichnet, 2014 erhielt ich das ‚Silberne Lorbeerblatt‘ von der Bundesrepublik Deutschland und ich war der ‚Deutsche Fußball Botschafter‘ 2015. Aber ganz klar, ich bin kein Deutscher…? Gibt es Kriterien, ein vollwertiger Deutscher zu sein, die ich nicht erfülle? Meine Freunde Lukas Podolski und Miroslav Klose werden nie als Deutsch-Polen bezeichnet, also warum bin ich Deutsch-Türke? Ist es so, weil es die Türkei ist? Ist es so, weil ich ein Muslim bin? Ich denke, hier handelt es sich um eine wichtige Sache. Indem man als Deutsch-Türke bezeichnet wird, werden Menschen bereits unterschieden, die Familie in mehr als einem Land besitzen. Ich wurde in Deutschland geboren und ausgebildet, also warum akzeptieren die Leute nicht, dass ich Deutscher bin? Grindels Meinungen können auch an anderen Stellen gefunden werden. Ich wurde von Bernd Holzhauer (ein deutscher Politiker) als ‚Ziegenficker‘ wegen meines Bildes mit Präsident Erdoğan und meines türkischen Hintergrundes bezeichnet. Außerdem sagte mir Werner Steer (Chef des Deutschen Theaters), dass ich mich ’nach Anatolien verpissen soll‘, ein Gebiet in der Türkei, aus dem viele Migranten stammen. Wie ich schon gesagt habe, mich wegen meiner Familien-Abstammung zu kritisieren und zu beschimpfen ist eine erbärmliche Linie, die überschritten wurde, und Diskriminierung als Mittel für politische Propaganda zu nutzen ist etwas, dass sofort im Rücktritt dieser respektlosen Individuen resultieren sollte. Diese Menschen haben mein Bild mit Präsident Erdoğan als Möglichkeit genutzt, um ihre zuvor versteckten rassistischen Tendenzen nun auszudrücken, und das ist gefährlich für die Gesellschaft. Sie sind um nichts besser als der Deutschland-Fan, der mir nach dem Spiel gegen Schweden gesagt hat ‚Özil, verpiss dich du scheiß Türkensau. Türkenschwein hau ab‘. Ich möchte Hassmails, Drohanrufe am Telefon und Kommentare in sozialen Medien gegen mich und meine Familie gar nicht diskutieren. Dies alles steht für das Deutschland aus der Vergangenheit, ein Deutschland, das nicht offen für neue Kulturen war, und ein Deutschland, auf das ich nicht stolz bin. Ich bin mir sicher, dass viele stolze Deutsche, die eine offene Gesellschaft begrüßen, meiner Meinung wären. Reinhard Grindel, ich bin sehr enttäuscht, aber nicht überrascht von Ihrem Handeln. In 2004, als Sie Mitglied des Bundestages waren, haben Sie behauptet, dass ‚Multikulturalität ein Mythos und eine lebenslange Lüge‘ sei. Sie haben gegen Gesetze für Doppel-Nationalitäten und Strafen für Bestechung gestimmt, und Sie haben gesagt, dass die islamische Kultur in vielen deutschen Städten zu tief verwurzelt sei. Das ist nicht zu vergessen und nicht zu verzeihen. Wegen der Behandlung durch den DFB und viele andere möchte ich das deutsche Trikot nicht länger tragen. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht gewollt bin und vergessen wurde, was ich seit meinem Debüt 2009 geleistet habe. Leute mit rassendiskriminierendem Hintergrund sollten nicht im größten Fußball-Verband der Welt arbeiten dürfen, der viele Spieler mit zwei Heimatländern hat. Solche Einstellungen spiegeln einfach nicht die Spieler wider, die sie vorgeben zu vertreten. Schweren Herzens und nach gründlicher Überlegung werde ich wegen der zurückliegenden Vorkommnisse nicht länger für die deutsche Nationalmannschaft spielen, da ich Rassismus und fehlenden Respekt spüre. Ich habe früher das deutsche Trikot mit so viel Stolz und Begeisterung getragen, heute nicht mehr. Es war sehr schwierig, diese Entscheidung zu treffen, da ich immer alles für meine Teamkollegen, das Trainerteam und die guten Menschen in Deutschland gegeben habe. Aber wenn hochrangige DFB-Offizielle mich so behandeln, wie sie es getan haben, meine türkischen Wurzeln nicht respektieren und mich aus selbstsüchtigen Gründen für politische Propaganda benutzen, dann ist genug genug. Dafür spiele ich nicht Fußball, und ich werde mich nicht zurücklehnen und in dieser Sache nichts tun. Rassismus darf niemals akzeptiert werden.“
Foto: By Granada [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], from Wikimedia Commons

Gerechtigkeit durch Videobeweis? Köln verzichtet mangels Erfolgsaussicht auf Protest

Der 1. FC Köln wird gegen die Wertung des Spiels gegen Borussia Dortmund keinen Protest einlegen. Dies gab der Verein am Dienstag bekannt. Der Schiedsrichter hatte beim Spielstand von 1:0 für die Dortmunder einen Regelverstoß gegen den Kölner Torwart gesehen und das Spiel durch Pfiff unterbrochen. Erst danach überquerte der Ball die Kölner Torlinie. Durch Videobeweis wurde festgestellt, dass der Torwart nicht durch einen Dortmunder Spieler behindert worden war. Daraufhin gab der Schiedsrichter das Dortmunder Tor, was regelwidrig ist. Dennoch hätte ein Kölner Protest keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Entscheidungen durch Video-Beweise können nicht angegriffen werden. Statt eines Protestes bitten die Kölner nun den DFB um eine Stellungnahme. Der Vorfall wird die Diskussion um den Video-Beweis beleben. Hier jedenfalls hat er nicht zu mehr Gerechtigkeit geführt.