Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat eine spektakuläre Entscheidung zur Meinungsfreiheit gefällt, die in den Mitgliedstaaten der Konvention, zu denen Deutschland gehört, weitreichende Folgen haben dürfte. Ein türkischer Politiker hatte im Jahr 2005 bei mehreren Konferenzen in der Schweiz die Charakterisierung der Massaker an Armeniern während des Osmanischen Reiches im Jahre 1915 als internationale Lüge bezeichnet. Er wurde daraufhin im Jahre 2007 in der Schweiz wegen Rassendiskriminierung zu einer Geldstrafe verurteilt. Hierin sieht das Gericht einen Verstoß gegen die in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierte Meinungsfreiheit. Die freie und offene Diskussion unterscheide eine Demokratie von totalitären und diktatorischen Regimen. Deshalb müsse auch bei sensiblen Fragen der Meinungsfreiheit Vorrang eingeräumt werden. Dies gelte insbesondere im Bereich der Geschichtsschreibung, die grundsätzlich umstritten sei und die sich deshalb nicht für objektive und absolute Wahrheiten oder definitive Schlussfolgerungen eigne. Man müsse aufpassen, so das Gericht, dass die Meinungsfreiheit nicht durch Sanktionen unterdrückt werde und die Bürger davon abgehalten werden, sich kritisch zu äußern.
Das Urteil hat nicht nur Bedeutung für die Schweiz, sondern auch für Frankreich. Dort hatte es im Jahre 2012 eine heftige Diskussion darüber gegeben, ob man die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern strafbewehrt verbieten darf. Auch in Deutschland verbietet das Strafgesetzbuch etwa in den §§ 90a und 130 das Äußern bestimmter Meinungen und stellt sie unter Strafe. Man darf gespannt sein, ob die staatlichen Organe in Deutschland diese Rechtsprechung aufgreifen und der Meinungsfreiheit als das für eine Demokratie schlechthin konstituierende Grundrecht wieder mehr Gewicht einräumen.